Sonntag, 22. Juni 2014

Das traurige Ende eines Hundelebens

Es liegt zwar schon ein paar Jahre zurück, aber ich möchte trotzdem von meinem Praktikum in einer Tierklinik erzählen. Besonders von einem eigentlich sehr traurigen Erlebnis, das allerdings meine Sichtweise auf den Beruf des Tierarztes veränderte.

Aber ich fange erst einmal von vorne an:
Ich hatte mir das mit dem Praktikum lange Zeit überlegt und war mir nicht sicher, ob ich es wirklich machen möchte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer gesagt: "Nein, ich liebe Tiere, aber ich möchte niemals Tierarzt werden, da ich es wahrscheinlich nicht über mich bringen werde, ein Tier einzuschläfern."
Aber wie ich halt so bin, probiere ich dann doch immer alles aus und will natürlich so viel Erfahrung sammeln, wie nur möglich und bewarb mich schließlich bei einer Klinik in der Nähe.

Die ersten Tage waren einfach unglaublich toll, zwar war ich die meiste Zeit am Putzen, aber ich habe noch nie so viele süße Kätzchen und Hundewelpen auf einem Haufen gesehen! Zum Tierarzt geht man ja schließlich nicht immer nur in Notfällen, sondern auch zum Impfen etc.. Ich durfte bei allen Behandlungen dabei sein und auch mit in den OP-Saal. Zunächst hatte ich ein bischen Angst vor den OPs, weil ich nicht wusste wie ich damit zurecht kommen würde... Ich hatte noch nie ein Problem damit, Blut zu sehen, aber es ist ja noch mal was ganz anderes, ob man sich ein Knie aufgeschürft hat, oder ob eine aufgeschnittene Katze vor einem liegt.
Aber so schlimm war es dann gar nicht, ich fand es eigentlich sogar sehr interessant.
Die ersten Tage kamen hauptsächlich Hunde zur Zahnsteinentfernung rein, also nichts schlimmes.

Doch an meinem vorletztem Tag war es dann soweit, eine schon 16 Jahre alte Katze erlitt im Wartezimmer einen Herzstillstand. Dann ging alles ganz schnell: jeder ließ alles stehen und liegen und rannte los, die Katze wurde sofort in den OP-Saal gebracht, das Beatmungsgerät wurde angeschlossen und die Tierärztin begann mit der Wiederbelebung. Und das Ganze spielte sich in nur wenigen Sekunden ab. Alle Bemühungen waren allerdings umsonst, das Herz der Katze blieb für immer stehen. 

Es war ein kleiner Schock für mich, das alles mit zu erleben, aber es war für mich überraschender Weiße nicht so schlimm wie ich gedacht hatte, die Katze war schon alt und konnte zuvor kaum noch laufen, die Besitzerin nahm das Ganze überraschend gefasst, sie hatte sich ein paar Minuten zuvor noch über das Tierkrematorium informiert und hatte sich schon darauf eingestellt, dass die Katze vermutlich bald sterben würde und in gewisser Weiße war es ein natürlicher Tod, vermutlich hat es mich deshalb nicht so sehr mitgenommen, vor allem, da ich keine emotionale Bindung zu diesem Tier hatte. Etwas geknickt setzte ich, wie jeder andere in der Klinik nach ein paar Minuten meine Arbeit fort.
Aber dieser Tag, der sich so sehr in mein Gehirn eingebrannt hat, dass ich ihn nie vergessen werde, war ja noch nicht zu Ende...

Bevor ich weiter erzähle, möchte ich aber noch den Anfang der Bundes-Tierärzteordnung zitieren:
"(1) Der Tierarzt ist berufen, Leiden und Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lindern und zu heilen [...]"

Gegen Mittag kam eine Frau, mit einem kleinen Mischlingsrüden in die Klinik und meinte, dass der Hund nun schon seit einiger Zeit nicht mehr frisst. Der Tierarzt tastete den Bauch ab und sagte, dass ein Röntgenbild nötig wäre. Während alles vorbereitet wurde, fragte mich die Tiermedizinische Fachangestellte, ob ich den Bauch auch einmal abtasten wolle. Na und ob! Der Bauch des Hundes war steinhart und völlig aufgeblasen, es fühlte sich wirklich nicht gut an.
Nach einigen Minuten lagen dann auch schon die Bilder vor und bis die Besitzerin des Hundes wieder dazu geholt wurde, erklärte mir der Tierarzt ein paar Sachen auf dem Bild, ich erkannte darauf nämlich zugegebenermaßen herzlich wenig. Er deutete auf ein auffällig helles Ding im Schulterbereich und erklärte mir, dass es sich dabei um eine Pistolenkugel handle, die allerdings nicht die Ursache für das Problem war. Das lag in diesem Fall auf dem undefinierbaren schwarzen Klumpen in der Magengegend. 
Als die Besitzerin hinzukam, war diese doch sehr überrascht von der Kugel und führte es darauf zurück, dass der Hund zuvor ein Streuner im Ausland war. (In manchen Ländern ist es ja leider nichts ungewöhnliches, dass Streuner erschossen oder überfahren werden). Der schwarze Klumpen stellte sich als riesiger Tumor heraus, der auf den Magen drückte, deshalb konnte der Hund nicht mehr fressen. Das eine Operation nötig war, war offensichtlich, das Problem war nur, dass auf dem Röntgenbild nicht zu erkennen war, von welchem Organ der Tumor ausging. Der Tierarzt legte der Besitzerin die Lage dar: je nachdem, von was der Tumor ausginge, könnte man etwas machen, oder nicht, die Frage war, ob der Hund, wenn nichts mehr zu machen ist direkt eingeschläfert werden soll. Wer ein Haustier hat, kann nachvollziehen, wie schrecklich diese Entscheidung ist. Die Frau war noch eine Zeit lang allein mit ihrem Hund, um Abschied zu nehmen, für den Fall, dass die Operation nicht möglich wäre, sie hatte die Einwilligung erteilt, den Hund in diesem Fall direkt einzuschläfern, um ihm unnötiges Leid zu ersparen. 
Ich hätte die Wahl gehabt in die Mittagspause zu gehen und mich nicht weiter damit zu befassen, aber ich entschied mich bewusst dafür, bei der Operation dabei zu sein.
Die OP begann wie jede andere auch, das unter Narkose setzten war für mich nichts Neues mehr, dann griff der Tierarzt zum Skalpell und schnitt den Bauch des Hundes auf. Ich betete, dass alles gut gehen würde, angespannt stand ich an der Seite und sah zu. Schon nach wenigen Augenblicken schüttelte der Tierarzt den Kopf und mir schien als würde die Welt zusammenbrechen.
Was jetzt folgt klingt vielleicht etwas makaber... aber der Tierarzt zog das ganze Gebilde aus Gedärmen und Tumor ein Stück heraus, um der Tierarzthelferin zu zeigen, was er meinte. Dann wurde auch schon die Spritze zum Einschläfern bereit gemacht. Ich hatte unglaublich zu kämpfen, um nicht im OP-Saal zusammen zu brechen und in meinem Kopf schwirrte unablässig der Satz: "Du hilfst hier niemanden, wenn du jetzt heulend zusammen brichst, spar dir das für später" herum. Der Tierarzt strich dem betäubten Hund noch einmal über den Kopf und meinte "Armer Kerl, vielleicht hast du es ja besser, in deinem nächsten Leben" und die Tierarzthelferin fügte leise hinzu. "Ganz bestimmt hat er das" Niemand sagte mehr etwas, als der Arzt dem Hund die Spritze verabreichte. Nur das immer langsamere Piepen des EKGs war zu hören, bis es schließlich verstummte. Für einen Moment war es absolut still, ich war noch nie so kurz vor dem Zusammenbruch, doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Der Hund war tot, es war also nicht nötig Vorsicht walten zu lassen, der Tierarzt stopfte die Gedärme einfach irgendwie wieder in den Hund und fragte die Tiermedizinische Fachangestellte, ob sie noch nähen üben wolle. Wäre ich nicht so am Ende gewesen, wäre mir vielleicht angesichts der makabren Situation die Kinnlade herunter gefallen. Durch das bloße hineinstopfen des Innenlebens des armen Hundes, begann jetzt natürlich so richtig das Blut zu fließen und dann ließ man mir keine Zeit für Tränen, man warf mich direkt ins kalte Wasser.
Die Tierarzthelferin nahm den Hund vom OP-Tisch und drückte ihn mir mit den Worten: "Hier, halt mal, ich hol mal nen Müllsack" in die Hand. Da stand ich nun, mit den Tränen kämpfend mit einem toten Hund im Arm, aus dem das Blut nur so herauslief und dachte mir, ich hör nicht richtig! Sie kam dann tatsächlich mit einer Tüte und hielt sie mir auf. Ich legte den Hund ganz vorsichtig hinein, ich glaube an dem Punkt war ich schon zu schockiert um noch zu irgendwas in der Lage zu sein. Nachdem sie die Tüte verknotet hatte, gab sie sie mir wieder in die Hand und meinte. "So, du kannst ihn jetzt hinter in die Gefriertruhe legen". Die Gefriertruhe? Verdammt, eine Woche lang bin ich nichts ahnend an dieser Gefriertruhe vorbei gelaufen, ich dachte dort werden irgendwelche Proben oder Medikamente drin gelagert... Da stand ich also vor der Truhe und hatte so gar keine Lust sie zu öffnen, vor allem da mir jetzt klar war, was mich erwarten würde. Ich holte noch einmal tief Luft und öffnete sie und am liebsten hätte ich den Deckel gleich wieder zu geknallt! Mehrere Hunde starrten mich aus leblosen Augen an, darunter auch ein Goldenretriverwelpe.
Nachdem ich den Hund dort abgelegt hatte, konnte ich nicht schnell genug aus diesem Raum heraus und rannte regelrecht ins nächste Drama: die Besitzerin erfuhr gerade, dass man nichts mehr für ihren Hund tun konnte. Und das mitzubekommen ist ein wirklich schreckliches Gefühl. 
Da ich zum Sprechen nicht mehr in der Lage war und sich in meinen Augen schon wieder Tränen sammelten, signalisierte ich der Tierarzthelferin im rausgehen nur noch schnell, dass ich jetzt Pause machte und ging in den nahegelegenen Park, der Appetit war mir längst vergangen.

Ich dachte sehr lange über das Ganze nach und zum ersten Mal in meinem Leben verstand ich wirklich, was es heißt ein Tier einzuschläfern. Denn hätte der Tierarzt das nicht getan, wäre der Hund qualvoll verhungert. Gestorben wäre er so oder so, aber man hat ihm ein paar schmerzhafte Tage erspart. 
Mit "wirklich verstehen" meine ich: als Kind hat man irgendwie immer so die Einstellung: der böse Tierarzt hat mein Haustier umgebracht. Wenn man dann älter wird, sagt man sich: es muss halt sein um dem Tier das Leiden zu ersparen, aber so wirklich versteht man es nicht. 
Die ganze Situation war ein richtig heftiger Schock für mich, aber ich bin im Nachhinein dankbar dafür, dass man mich in diesem Moment nicht geschont hat und ich miterlebt habe, dass es manchmal nötig ist diesen Weg zu gehen, auch wenn es nicht leicht fällt. Dieses Wissen macht es nicht leichter, wenn ein Tier eingeschläfert wird und ich fürchte mich vor dem Tag, an dem es bei meinem Hund so weit ist, aber ich habe in gewisser Weiße ein Verständnis dafür entwickelt, dass es manchmal das Beste ist. Die Erfahrung die ich gemacht habe war unglaublich wertvoll und ich habe an diesem Tag viel gelernt. 
Ich bewundere alle Tierärzte, die jeden Tag aufs Neue ihr Bestes geben und sich von solchen Erlebnissen nicht entmutigen lassen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen